Das gewagte Rebranding von Jaguar 2024
- LeftLane Media

- 6. Nov.
- 4 Min. Lesezeit
Marketing ist dynamisch und wandelbar: Was gestern noch out war, kann morgen schon retro – und damit wieder angesagt – sein. Trends ändern sich schnell, Zielgruppenpräferenzen entwickeln sich, und Marken müssen sich kontinuierlich neu erfinden, um relevant zu bleiben. Gleichzeitig zeigt sich dabei, wie heikel der Balanceakt zwischen Innovation und Tradition sein kann.
Ein anschauliches Beispiel dafür liefert die britische Traditionsmarke Jaguar: Ende 2024 startete das Unternehmen mit seiner radikalen „Copy Nothing“-Kampagne einen Rebranding-Versuch, der auf Diversität, künstlerische Ästhetik und Inklusion setzte – allerdings ohne die eigenen Fahrzeuge zu präsentieren. Und damit fing das komplette Chaos an...
Wie alles begann
Jaguar startete Ende 2024 seine „Copy Nothing“-Kampagne, die einen deutlichen Bruch mit der bisherigen Markenkommunikation markierte. Ziel war es, ein modernes, inklusives Image zu vermitteln und eine jüngere, diverse Zielgruppe anzusprechen. Dabei wurden die Fahrzeuge selbst vollständig aus der Präsentation ausgeschlossen. Stattdessen setzte die Kampagne auf künstlerische Inszenierungen, prominente Gäste und ein minimalistisches, futuristisches Design.
Auch die Social-Media-Präsenz wurde komplett überarbeitet: Alle bisherigen Beiträge wurden gelöscht, und die Kanäle erhielten ein neues Erscheinungsbild, das stark an Cyberpunk-Ästhetik erinnerte. Traditionelle Markensymbole und Logo-Elemente wurden zugunsten eines reduzierten, modernen Logos ersetzt. Die neuen Slogans, darunter „Live Vivid“ und „Create Exuberant“, sollten Kreativität und Lebensfreude transportieren, blieben jedoch für viele Konsumenten abstrakt und schwer greifbar.
Mit diesem radikalen Schritt versuchte Jaguar, sich von seiner historischen Rolle als Hersteller eleganter und leistungsstarker Fahrzeuge zu lösen und stattdessen als moderne Lifestyle-Marke wahrgenommen zu werden. Die Reaktionen auf diesen Neuanfang fielen schnell polarisiert aus und machten deutlich, wie sensibel die Balance zwischen Innovation und Tradition im Luxussegment ist.
Die katastrophalen Folgen
Das radikale Rebranding von Jaguar führte bereits kurz nach dem Start der Kampagne zu spürbaren negativen Konsequenzen. Der Bruch mit der traditionellen Markenidentität und die abstrakte Präsentation ohne Fahrzeuge sorgten für Verwirrung und Ablehnung bei der Kernzielgruppe. Die unklaren Botschaften der Slogans wie „Live Vivid“ oder „Create Exuberant“ konnten die Konsumenten nicht überzeugen und trugen zur Entfremdung der bestehenden Kundschaft bei.
Die Verkaufszahlen fielen drastisch: Laut Berichten von Business Insider sank der Absatz in Europa von 2.000 Einheiten auf lediglich 49 – ein Rückgang von 97,5 % und ein historischer Tiefpunkt für die Marke. Der massive öffentliche Shitstorm, unterstützt durch kritische Stimmen prominenter Persönlichkeiten, verschärfte die Lage zusätzlich. Auch innerhalb des Unternehmens hatte das Rebranding Folgen: CEO Adrian Mardell trat während der Kampagne zurück, was die Unsicherheit und die negative Wahrnehmung verstärkte.
Was wurde falsch gemacht?
Werfen wir vorab einen Blick auf die typische Jaguar-Kundschaft. Die Frankfurter Allgemeine fasst die Ergebnisse einer Umfrage wie folgt zusammen:
Der durchschnittliche Jaguar-Fahrer ist männlich – zu 98 Prozent –, rund 50 Jahre alt und befindet sich in einer sehr hohen beruflichen Position. Auch das Einkommen liegt am oberen Ende der Skala. Politisch tendiert diese Zielgruppe klar konservativ: Etwa 85 Prozent der befragten Jaguar-Fahrer unterstützen eine schwarz-gelbe Koalition, während SPD-Anhänger lediglich einen kleinen Anteil ausmachen. Ideologische oder grüne Überzeugungen spielen für diese Gruppe praktisch keine Rolle. Innerhalb des Automarktes ist Jaguar damit die Marke, unter deren Fahrern die meisten Liberalen erwartet werden, knapp gefolgt von Ferrari.
Diese Charakteristik zeigt deutlich, dass Jaguar traditionell eine etablierte, zahlungskräftige und politisch konservative Zielgruppe anspricht. Jeder Versuch, das Markenimage stark zu modernisieren oder auf alternative, junge Zielgruppen auszurichten, muss folglich sehr sorgfältig geplant werden, um die bestehende Kundschaft nicht zu verlieren.
Was hat Jaguar gemacht: Das Lenkrad des vollen Containerschiffs bis zum maximalen Anschlag gedreht.
4 Gründe des Scheiterns aus Marketingsicht
1. Desinteresse an der Kernzielgruppe Die Kampagne richtete sich vor allem an eine neue, junge und alternative Zielgruppe, während die etablierten Kunden weitgehend ignoriert wurden. Jaguar war offenbar bereit, bis zu 90 % seiner Bestandskunden zu verlieren, um die neue Zielgruppe zu gewinnen. Dieser Bruch mit der treuen Kundschaft führte zu massiver Kritik und einem Vertrauensverlust.
2. Abstrakte und unklare Botschaft Slogans wie „Live Vivid“ oder „Create Exuberant“ wurden von der Öffentlichkeit nicht verstanden. Die Werbevideos waren stark avantgardistisch und zeigten keine Fahrzeuge, sondern Personen und zusammenhangslose Schlagworte. Diese Abstraktion führte zu Verwirrung und verhinderte, dass die Kampagne eine klare Verbindung zwischen Marke und Produkt herstellte.
3. Ignorieren des Produkts Die Kampagne setzte vollständig auf Lifestyle-Elemente und ließ die eigentlichen Fahrzeuge außen vor. Dadurch entstand ein inhaltliches Vakuum: Die abstrakte Markenbotschaft konnte das zentrale Produkt – Jaguar-Autos – nicht ersetzen oder erklären, was die Konsumentenbindung weiter schwächte.
4. Fehlerhafte Umsetzung des Rebrandings Die Einführung der neuen Marke erfolgte abrupt und ohne nachvollziehbare Erklärung. Die Abkehr von traditionellen Markensymbolen und Werten wirkte weniger wie eine Weiterentwicklung als eine Zerstörung des Markenimages. Statt die etablierte Eleganz und Leistung zu polieren, wurde das Markenvermögen durch die radikale Neupositionierung gefährdet.
Teil 4: Wie hätte Jaguar vorgehen können
1. Strategische Prinzipien des Markenaufbaus Erfolgreiche Markentransformationen beruhen auf einer klaren Balance zwischen Innovation und Kontinuität. Marktführer behalten den Kern ihres Markenwerts bei und ergänzen ihn gezielt um neue Dimensionen, die Resonanz bei sich wandelnden Kundenerwartungen erzeugen. Eine zu radikale Abkehr von traditionellen Werten birgt das Risiko, das bestehende Markenvermögen zu beschädigen.
2. Kundenorientierte Transformation Ein tiefes Verständnis der Kundenmotive und Entscheidungsfaktoren ist entscheidend, um Entfremdung bei der Markenentwicklung zu vermeiden. Erfolgreiches Rebranding erweitert die Attraktivität der Marke, wahrt jedoch die bestehenden Kundenbeziehungen.
3. Kunden einbeziehen Markenentwicklung sollte nicht einseitig von der Unternehmensführung diktiert werden. Fokusgruppen, Feedback und gezielte Tests können helfen, Reaktionen der Zielgruppe frühzeitig einzuschätzen. Strategische Veränderungen lassen sich so gemeinsam mit den Kunden entwickeln, wodurch Akzeptanz und Erfolgschancen signifikant steigen.
Fazit: Sich neu zu erfinden ist wichtig – besonders für etablierte Marken, die mit der Zeit gehen wollen. Doch die Kunst liegt darin, Tradition und Moderne in Balance zu halten.
Im Fall von Jaguar hätte ein schrittweises Rebranding helfen können, den Übergang harmonischer zu gestalten und den charakteristischen Markenkern zu bewahren. Ein gelungenes Beispiel liefert McDonald’s: Der Konzern führte 2009 ein neues, dezenteres Grün als Zweitfarbe ein und verabschiedete sich damit vom auffälligen Rot. Eine Veränderung, die zunächst überraschte, aber schnell Akzeptanz fand – und das Markenbild erfolgreich modernisierte.
Das zeigt: Ein durchdachtes Rebranding muss nicht radikal sein. Mit einer klaren Strategie, schrittweisen Anpassungen und einer stärkeren Einbindung der Kundschaft lassen sich bestehende Zielgruppen halten und neue ansprechen, ohne die Markenidentität zu verlieren.

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